Dieser Wozzeck geht durch Mark und Bein:
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Gefängnis Albtraum

Wieder so ein Stück, das man nicht inszenieren möchte. Schon Büchners Drama ist geradezu expressive Musik. Nur so ein ernsthafter, feinnerviger und gelehrter Musiker wie Alban Berg konnte dem noch etwas hinzufügen. Und jetzt noch eine Regie, die ähnliches Niveau hat?

Doch: Andreas Kriegenburg gelingt an der Bayerischen Staatsoper dieses Wunder, und das Wunder ist fast vollkommen. Die neue Münchener Intendanz landet ausgerechnet mit “Wozzeck” ihren ersten großen Hit.

Was wir auf der Bühne sehen, sind zum Glück keine Hartz IV-Empfänger beim Biertrinken, die hatten wir ja in den letzten Jahren reichlich. Was wir auf der Bühne sehen sind Menschen, nein, es sind Kreaturen des Albtraums, in dem Wozzeck lebt: Verzerrte Körper, die entfernt so etwas wie Kleidung tragen, die Gesichter maskenhaft oder weiß. Alles spielt in einem Bühnenbild, das Wozzeck keine Chance lässt: oben ein schwebender grauer Kasten, eine Behausung für Marie und den Knaben, dessen Vater er ist. Unten Wasser, der Teich, in dem er Marie erstechen wird. Wozzeck wechselt von oben nach unten und wieder zurück. Er flieht, aber er flieht nirgendwo hin. 

In diesem Rahmen muss der Regisseur keine Handlung entfalten, er konzentriert sich auf den Zustand und den Charakter der Personen: Er zeigt die Demütigungen Wozzecks durch den Hauptmann und den Arzt, er zeigt die Brutalität des Tambourmajors, er zeigt die verzweifelte Marie, die Trost in der Bibel sucht. Da brennen sich Bilder ein: wenn Wozzeck im Wasser von Endzeitvisionen überwältigt wird etwa. Oder wenn die Menge ihm immer wieder das Messer in die Hand drückt: In der Gesellschaft herrscht die Gewalt und jemand muss diese Gewalt realisieren. Es ist Wozzeck, der Schwächste, der wirklich letzte in der Hierarchie. Michael Volle singt und spielt ihn, dass man nicht anders kann als mitleiden. Nein, er spielt nicht, er ist. Er ist in aller Verzweiflung und in aller Sehnsucht, die man dieser Figur nur geben kann. Ebenso großartig gibt Wolfgang Schmidt den Hauptmann: als grotesk-abstoßenden Fettkloss, ein Albtraum für sich schon. Beide Sänger zeichnen sich nicht nur durch die vollkommene Beherrschung der Stimme aus, sondern auch durch eine makellose Textverständlichkeit.

Doch beide ragen eigentlich nur dadurch heraus, dass sie noch etwas besser sind als das Ensemble, das ganze, sowieso schon. Michaela Schuster ist an diesem Abend indisponiert, was man dann auch ein wenig hört, doch sie zeigt eine Marie zwischen Aggressivität und Zärtlichkeit. Man versteht, warum sie Wozzecks einziger Lichtblick ist. Clive Bayley steigert sich als Doktor geradezu expressiv in seine wissenschaftliche Visionen hinein. Dann wechselt er barsch zu einem Ton, der alleine zeigt, was Wozzeck ist: Ein Objekt. Besondere Aufmerksamkeit bekam Maries Knabe, gespielt von Aurelius Braun. Kein Kleinkind ist er hier, sondern ein Schuljunge, der sich am Ende völlig apathisch auf den toten Vater setzt. Er ist schon jetzt Opfer, und er wird gewiss zum Täter.     

Kent Nagano dirigiert die “schönen Stellen” zurückhaltend, beinahe sachlich. Denn was schön und impressionistisch ist in dieser Musik, kommt von selbst an. Man muss nichts  draufsetzen. Wenn die Musik sich aber in Gewalt verwandelt, und das tut sie öfters, treibt er das Orchester an, dass es einem durch Mark und Bein geht.  Das passt zu Inszenierung, wenig fällt hier auseinander. Das Staatsorchester braucht nur kurz um sich einzufinden, dann zieht es engagiert mit.

Der Abend ist also fast vollkommen, denn zwei Kritikpunkte gibt es. Der erste: Ganz will Kriegenburg nicht auf soziale Anspielungen verzichten. Männer mit schwarzen Anzügen kommen immer wieder auf die Bühne. Mal kämpfen sie sich um Essen wie verwahrloste Hunde, mal müssen sie ein kleines Orchester tragen, mal haben sie Schilder mit der Aufschrift “Arbeit”, eine Reminiszenz an die Weltwirtschaftskrise von 1929. Das fügt der Inszenierung leider nichts hinzu, es nimmt ihr etwas. Schon Büchners Stück ist im Grunde nicht zeitlich verankert. Und der Albtraum, den Kriegenburg auf die Bühne bringt, verträgt solche Konkretisierung nicht. Der Regisseur hätte sein Konzept ruhig ins Extrem treiben dürfen.

Das zweite: Auf der Bühne ist manchmal zuviel los. Es gibt zuviel Bewegung, die Musik leidet dann. Dies gilt besonders beim Monolog der Marie am Anfang des dritten Aktes. Hier zieht der Knabe Striche an der Wand und die Aufmerksamkeit von Marie weg. Das ist nicht nötig.

Dennoch: Die Münchener Oper zieht das Publikum mit einem der wichtigsten und besten Werke der Moderne. Darüber kann man sich nur freuen. Und hinzufügen: Wenn möglich, unbedingt hingehen, ansehen, anhören. Es lohnt sich.  

© Friedrich Kern









Alban Berg
Wozzeck

Musikalische Leitung: Kent Nagano
Inszenierung: Andreas Kriegenburg
Bühne: Harald B. Thor
Kostüme: Andrea Schraad

Staatsoper München
Besuchte Vorstellung: 25. Januar 2009
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Die nächsten Aufführung:
Freitag, 17. Juli, 20 Uhr


Bayerische Staatsoper München
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