Die musikalische Qualität überzeugt trotz Schwachpunkten,
                                                     bei der Inszenierung ist es umgkehrt.



Trojaner im Weltall


Es muss nicht immer Wagner sein, wenn die Oper gar nicht mehr aufhören will. Auch andere Komponisten strapazieren die Zeit ihrer Zuhörer und -schauer. Bevor Wagner seinen Ring auf die Bühne brachte, komponierte Hector Berlioz seine “Les Troyens”. Ein monumentales Werk, das entweder auf zwei Abende verteilt oder gekürzt wird. Die Staatsoper Stuttgart wählte die zweite Variante, hielt sich beim Kürzen aber zurück. So kam man auf eine reine Spielzeit von gut dreieinhalb Stunden.

Eine Grand Opera sind “Die Trojaner” ganz sicherlich, nicht nur quantitativ: Im ersten Teil warnt Kassandra, das berühmte Pferd wird hereingezogen. Am Ende gibt es einen Frauen-Massenselbstmord und die Stadt geht unter. Im zweiten Teil verschlägt es die Trojaner nach Karthago. Dort gibt es reichlich Staatsaktionen, Feinde werden in die Flucht geschlagen, Aeneas, der Führer der Trojaner, verliebt sich in die Königin Dido. Trotzdem verlässt er sie. Denn er wird vom (schon recht toten) Hektor immer dazu gerufen, nach Italien zu gehen. Dort soll er Rom gründen. Als er sich endlich dazu entschließt, ist Dido tief gekränkt. Sie verbrennt Aeneas Liebesgaben, ersticht sich selbst, lässt allerdings vorher die Karthager ewige Rache für die Nachkommen des Aeneas schwören. Sterbend sieht sie, dass auch Karthago untergehen wird.

Man braucht schon sehr gute Leute, um sich an solch ein Stück zu wagen. Und die hatte man zum großen Teil an diesem Abend. Beim ausführlichen Schlussapplaus konnte man gleich vier Stars beklatschen. An erster Stelle stand der Chor, der in diesem Stück viel Raum einnimmt. Müsste man Schulnoten verteilen, da stände überall eine Eins: Piano, Forte, Präzision, Klang, Textverständlichkeit, Ausstrahlung, überall. Die beiden Chordirektoren Michael Alber und Johannes Knecht haben ganze Arbeit geleistet (und man kann sich leicht vorstellen, wieviel Arbeit es war). Der Chor bleibt auch unter Albrecht Puhlmann der größte Aktivposten der Stuttgarter Staatsoper. Da wäre an zweiter Stelle Christiane Iven. Sie singt die Dido technisch ohne Probleme und mit einer ungeheuren Ausdruckskraft, besonders wenn es ins Piano geht. Wenn Iven zum Schlussgesang der Dido ansetzt, dann erlebt man einen dieser ganz, ganz großen Glücksmomente, die einen nur alle heilige Zeit in der Oper zufallen. Und drittens und viertens gibt es das Stuttgarter Staatsorchester unter Manfred Honeck. Keine Frage, der neue Generalmusikdirektor gewann bei seinem Einstand die ganze Sympathie des (Premieren)publikums. Richtig, da und dort ist nicht alles so präzise, wie es vielleicht sein könnte. Aber diese Musik lebt und sie wird kaum langweilig. Die Überraschung, das Umschlagen der Gefühle, die Klangfarben, das alles arbeitet Honeck meisterhaft heraus. Und gleichzeitig ist immer klar, dass es hier nicht um die französische Variante von Wagner geht. Berlioz war der Tradition verpflichtet: Mozart, Gluck, Rameau. Die Gefühle müssen nicht größer gemacht werden als sie sowieso schon sind, die Musik hat bei aller Gewalt etwas klassisches, eingegrenztes. Dass Honeck dies mitdirigiert, ist erfreulich.

Die übrigen Rollen waren meist gut bis blendend besetzt: Roland Bracht ist ein sonorer wie edler Narbal, Matthias Klink singt den Dichter Iopas mit passenden smarten Tenor. Ji Young Lim beeindruckt in der kleinen Partie als Askanius, dem Sohn von Aeneas. In Erinnerung bleibt auch Michael Nowak als Hylas mit seinem sehnsuchtsvollem Lied an die Heimat. Ordentlich, aber eher unscheinbar ist Ceri Williams als Didos Freundin Anna, ähnliches kann man von Shigeo Ishino sagen, der den Verlobten der Kassandra singt. Die wird von Barbara Schneider-Hofstetter übernommen. Sie spielt und singt die Warnerin so kräftig wie feurig. Trotzdem hätte man sich etwas mehr Differenzierung in gewünscht. Für eine Hauptfigur wirkt das auch stimmlich zu eindimensional. Der  hörbarer Schwachpunkt in der Sängerriege ist leider Ki-Chun Park. Er ist der Rolle des Aeneas schlicht nicht gewachsen. Oft ist die Stimme brüchig, die hohen Töne muss er fast immer stemmen.

Überzeugt die musikalische Qualität trotz Schwachpunkten, verhält es sich bei der Inszenierung umgekehrt: Sie enttäuscht, trotz eindrucksvoller Momente. Den größten gibt es, wenn Andromache auftritt, getanzt von Inés Hermández. So verwirrt wie verzweifelt beklagt sie den Tod von Kind und Mann. Die Stimmen schweigen, die Klarinette begleitet solistisch. Hier schlägt das Können des Choreografen Jochaim Schlömer durch. Ähnliches gilt, wenn sich die Hauptfiguren plötzlich zum Septett vereinen. Fast wie in einer spiritistischen Sitzung flehen sie hier um Frieden. Auch Jens Kilian (Bühne) und Nicole von Graevenitz (Kostüme) können kaum überzeugen. Nur das letzte Bild, ein Scheiterhaufen von Menschen und Stühlen, bleibt haften.

Aber es sind eben immer nur einzelne Momente, was fehlt ist so etwas wie eine Erdung. Man weiß nicht, wie das Regieteam das Stück liest, ja ob es sich überhaupt getraut hat, es zu lesen. Es mag sein, dass man allzu platte Aktualisierung vermeiden wollte. Es mag sein, dass man die Geschichte zu sehr als Mythos betrachtet hat  (das legt das Programmheft nahe). Doch weil ein Konzept fehlt, wirken die Gesten und Symbole doppelt abgegriffen: Didos Palast scheint aus einem Science-Fiction-Film zu stammen. Didos Ansprache wird per Fernsehen übertragen. Dido und Anna verdrängen Sorgen und Langeweile durch einkaufen und so weiter. Am Schluss gibt es Papp-Panzer.

So verlässt man am Ende die Oper, beeindruckt von, gleichzeitig neugierig auf diese Musik. Das hätte Berlioz ganz sicher gefallen. Nur erzählt wurde an diesem Abend nichts. Das hätte den Shakespeare-Bewunderer Berlioz sicher enttäuscht.

© Friedrich Kern









Staatsoper Stuttgart
Hector Berlioz
Les Troyens

Musikalische Leitung: Manfred Honeck
Inszenierung: Joachim Schlömer
Bühne: Jens Kilian
Kostüme: Nicole von Graevenitz

Staatsoper Stuttgart
Besuchte Vorstellung: 26. Oktober 2007
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