Wie Musiker tapfer, aber vergeblich,
                                                         gegen eine Inszenierung kämpfen.



Peinlicher Mozart-Tristan


“... - da der Tod I: genau genommen :I der wahre Endzweck unseres lebens ist, so habe ich mich seit ein Paar Jahren mit diesem wahren, besten freunde des Menschen so bekannt gemacht, daß sein Bild nicht allein nichts schreckendes mehr für mich hat, sondern recht viel beruhigendes und tröstendes! und ich danke meinem gott, daß er mit das glück gegönnt hat mir die gelegenheit I: sie verstehen mich :I zu verschaffen, ihn als den schlüssel zu unserer wahren Glückseeligkeit kennen zu lernen.”

Das schrieb Mozart im April 1787 an seinen Vater. Die Briefstelle hat eine gewisse Bekanntheit erreicht. Aber meint es Mozart wirklich so? Die einen meinen: ja. Die anderen meinen: na ja. Mozarts Vater ist krank und wer sich zu Trost verpflichtet fühlt, schreibt oder sagt gar manches. Sehr fragwürdig ist es allerdings, diese Ausggae zu Grundlage einer Inszenierung zu machen. Für eine Oper wohlgemerkt, die 15 Jahre vor dem Brief entstanden ist.

Es ist Mozarts “Lucio Silla” und welcher Musiker wäre nicht glücklich, hätte er mit 16 Jahren schon so komponiert. Das Stück gehört zu “opera seria”: Es gibt fünf Personen und etliche Intrigen. Es gibt einen römischen Kaiser, der erst den Diktator gibt und schließlich das Edle in sich entdeckt. Das Textbuch hat nichts Besonderes, es gibt im Barock tausender solcher Librettis. Aber wie inszeniert man so etwas?

Olga Motta hat für die langen drei Stunden genau drei Ideen. Die erste ist, das unvermeidlich gute Ende an den Anfang zu stellen: Wir sollen dem guten Ende nicht trauen. Gut, wir haben verstanden. Die zweite ist: Feuer. Weil im Text viel von Feuer und Leidenschaft die Rede ist, flammt und züngelt und brennt es beinahe unaufhörlich auf der Bühne. Und zwar so unaufhörlich, dass es mehr als schnell fad wird. Die dritte Idee ist: der Tod. Weil Mozart diesen Brief geschrieben hat, und weil im Text auch viel vom Tod die Rede ist, schleicht er personifiziert umher. Am Schluss liegen alle gestorben auf der Bühne, außer Silla. Das steht zwar nicht im Stück und es ist auch beim gewaltigsten Biegen nicht aus ihm herauszuholen. Doch Regie und Dramaturgie (übernommen vom Intendanten Albrecht Puhlmann) wollten es so. Aus Silla musste unbedingt ein 18. Jahrhundert-Tristan werden: Erlösung und Liebe gibt es nur im Tod. Als sei es nicht schlimm genug, dass schon das halbe 19. Jahrhundert mit diesem “Liebstod”-Unsinn getränkt war. Jetzt wird auch noch Mozart dafür missbraucht.  

Auf der Bühne ergibt sich aus dieser Konzeption gähnende Langeweile. War da nicht von Leidenschaften die Rede? Kaum, dass sich da zwei einmal angucken oder gar berühren. Personenregie? Die Sänger wirken wie Playmobilfiguren. Und die Bühne und Beleuchtungen erinnern irgendwie an die Ästhetik der History- und Mysterydokus aus RTL und dergleichen: Blaues Licht, Feuer, Nebelmaschine, bunte Kostüme, am Schluss fällt Schnee. Ärgerlich ist das nicht, das ist für ein Opernhaus von diesem Rang schlicht peinlich.

Sänger und Orchester kämpfen tapfer gegen diese Inszenierung an. Sie machen hörbar, was in dem Stück steckt. Vor allem Simone Schneider als Giunia überzeugt: Probleme mit den mehr als schwierigen Koloraturen scheint sie keine zu haben, doch diese Technik verbindet sie mit einem verinnerlichten, lyrischen Ton, der berührt. Die anderen Sänger brauchen etwas, um ihre gesangliche Qualitäten zu entfalten. Marina Prudenskaja in der Hosenrolle des Cecilio lässt jener Leidenschaft freien Leideschaft freien Lauf, die Mozarts Musik so spannend macht. Marita Solberg als Celia trifft den sanften, tröstenden Ton. Burkhard Fritz als Silla hat in dieser Inszenierung die undankbarste Rolle, denn er darf nicht sterben. Er ist insgesamt ein abweisender, rauher Herrscher. In einigen Augenblicken immerhin schlägt er einen lyrischen Ton an und zeigt, dass es da auch eine andere Seite gibt. Nur Christina Landhamer wirkt als revolutionärer Cinna  etwas blass. Hervorzuheben ist der Soloklarinettist Wolfgang Bayer, denn am Ende hat man den berühmten zweiten Satz aus Mozarts letzten Klarinettenkonzert gestellt. Bayer spielt mit so wunderbaren Ton, dass man, wie bei mancher Arie, dahinschmelzen möchte.

Am Pult steht Konrad Junghänel, ein Musiker der aus der historischen Aufführungspraxis kommt und sich erst seit einiger Zeit der Oper widmet. Er versucht der Aufführung den richtigen Schwung zu geben, lässt die Bläser entsprechenden hervortreten, gibt der Partitur die richtigen Differenzierung, kostet den Schöngesang der Sing- und Instrumentalstimmen aus.

Und dennoch: Die Oper ist eben ein Gesamtkunstwerk. Fällt ein Teil zu sehr ab, leidet das ganze, da können Orchester und Sänger noch so gut sein. So weiß man nach dem Besuch, dass es da womöglich eine wunderbare Mozart-Oper zu entdecken gibt. Was wirklich drin steckt, das was weiß man nicht.

© Friedrich Kern









Die nächsten Aufführungen:
Montag, 27. April, 19.30 Uhr
Freitag, 8. Mai, 19.30 Uhr

Staatsoper Stuttgart

Wolfagng Amadeus Mozart
Lucio Silla

Musikalische Leitung: Konrad Junghänel
Inszenierung, Bühne und Kostüme: Olga Motta

Staatsoper Stuttgart
Besuchte Vorstellung: 14. November 2007
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