November 2007

Der Diener verschwindet


Man weiß es ja nicht. Es ist es besser zu seinen Lebzeiten berühmt zu sein und später vergessen. Oder umgekehrt? Für Conradin Kreutzer gilt das erste. 1780 im schwäbischen Meßkirch geboren, zog es ihn schon früh zu den Instrumenten. Natürlich sollte er etwas Gescheites lernen. Und wie jeder Musiker, der auf Druck seines Vaters etwas Gescheites lernen musste, studierte er Jura. 1800 starb der Vater allerdings. Kreutzer ergriff offenbar die Gelegenheit und wurde Profi. Heute kennt man von ihm nur noch die Melodie zum Hobellied (“Das Schicksal setzt den Hobel an und hobelt alle gleich”). Von seinen Opern kennt man nur eine, und zwar vom Titel: “Das Nachtlager von Grenada”.

Kreutzer war fleißig: Unter seinen 51 Bühnenstücken gibt es eines mit dem schönen Titel “Der Herr und sein Diener”. Und damit sind wir endlich beim Thema. Diener und Herr gehörten einst zusammen wie Pech und Schwefel. Der Diener ist das, was der Herr nicht ist. Ist der Herr abgehoben, steht der Diener mit seinen Füßen auf der Erde. Hat der Herr ein ernsten Wesen, ist der Herr lustig. Ist der Herr schlau, so ist der Diener dumm und umgekehrt. Der Diener braucht den Herren, weil er Geld braucht. Der Herr braucht den Diener, damit er ans Ziel kommt. Don Quichotte, der dümmste aller Herren braucht den dummen Sancho Pansa, damit er nicht untergeht.

Als Kreutzer geboren wurde, war das Herr-Diener-Verhältnis, sagen wir mal, in der Krise. Der aufmüpfige Diener war nun das Symbol des dritten Standes. Der Diener war der direkte Gegenspieler seines adeligen Herren. Und der berühmteste aller dieser Diener war Figaro. Im ersten Teil von Beaumarchais‘ Figaro-Trilogie  - “Der Barbier von Sevilla”- hilft er noch ganz traditionell seinem Grafen. Im zweiten Teil, “Figaros Hochzeit” hilft er sich selbst. Und er nimmt kein Blatt vor dem Mund ­- solange sein Herr nicht da ist: “Was haben Sie denn geleistet für so viele Vorteile? Sie haben sich die Mühe gegeben, geboren zu werden, weiter nichts. Im übrigen sind Sie ein ganz gewöhnlicher Mensch.”

Klingt heute harmlos. War damals aber revolutionär. So revolutionär, dass das Stück in Paris lange nicht aufgeführt wurde und in Wien für die Bühne verboten war. Mozart und sein Librettist da Ponte wollten trotzdem eine Oper daraus machen. Sie versuchten das Kunststück, alles politische möglichst zu entfernen und alles politische möglichst drinzulassen. Was herauskommt sind Andeutungen, versteckte Codes: Figaro überhebt sich seines Standes, er lädt den Grafen zu einem adeligen Menuett ein. Als Cherubino zum Militär muss, fordert ihn Figaro spöttisch auf, das süßes Leben zu vergessen. Ist nur Cherubino gemeint? Der Graf steht dabei und marschiert, beachtet man die Regieanweisung genau, militärisch mit ab. Dieser Graf Almaviva hat nichts mehr im Griff, alle seine Pläne werden durchkreuzt: Von Cherubino, von Figaro, von Susanna, vom Zufall. Der Wiener Adel soll auf die Oper kalt reagiert haben. Er wusste warum.

Das störte Mozart und da Ponte nicht. In Prag, wo es etwas freier zuging, setzten sie gleich noch eines drauf: Don Giovanni. Hier dient Leporello und schon im zweiten Satz der ganzen Oper macht er klar, dass ihm sein Job nicht gefällt: “Ich will selbst den Herren machen, will nicht länger Diener sein. Nein, nein, nein, nein, nein, will nicht länger Diener sein.” Ach, und er versucht es ja auch: Er ahmt seinen Herren nach, er hat Liebschaften (obwohl er verheiratet ist), er präsentiert die Liebschaften seines Herren als wären‘s seine eigenen. Ja er und sein Herr tauschen sogar die Kleider. Und als Don Giovanni wird der arme Leporello beinahe umgebracht.

Aber eben nur beinahe. Selbst als die Gesellschaft den echten Don Giovanni packen könnte, tut sie es nicht. Sie ist noch nicht so weit, den üblen Herrn, die üblen Herren, selbst in die Schranken zu weisen. Das übernimmt noch einmal, ein letztes Mal, der Himmel, das Jenseits, also der Komtur als deus ex machina. Und gleichzeitig wächst der Typus des neuen Herren schon heran. Es ist Don Ottavio, der besonnene, bedächtige, vorsichtige, tugendhafte, treue. Der hat seine Gefühle im Griff bis zu Langeweile. Ottavio trägt ein Don vor dem Namen, doch er ist schon der Herr des 19. Jahrhunderts: Der Bürger. Der blasse Bürger.

Im 19. Jahrhundert, wo es um Gefühle und nicht mehr um den Kampf der Stände geht, gibt es keine Diener mehr, sondern Vertraute, vor allem weibliche Vertraute, Gesellschaftlerinen, Ammen, im "Rigoletto" etwa, in den "Meistersingern", im "Eugen Onegin", im "Boris Godunow". Strauss in seinem “Rosenkavalier” und Puccini in seinem “Gianni Schicchi” mussten schon auf die opera buffa zurückgreifen, um Herren und Diener auf die Bühne stellen zu können. Aus der Oper vertrieben, wandert das Herr- und Diener-Paar aus: Ins Volkstheater und in den Film. Und verwandelt taucht es im Zeichentrickfilm, im Comic, in der Populärliteratur wieder auf. Es ist nicht gut, dass ein Held allein sei. Verbunden sind diese Sidekicks (Kunmpan, Begleiter)  aber nicht mehr durch die Ökonomie, sondern - ganz bürgerlich - durch Sympathie, ja durch Freundschaft.  Also hat Scherlock Holmes seinen Dr. Watson, Mickey hat Goofy, Pinocchio hat die Grille, Charlie Brown hat Snoopy und Snoopy hat Woodstock, Asterix hat Obelix, und Harald Schmidt hatte Manuel Andrack.

Ach ja, Conradin Kreutzer: der kam ziemlich herum. Er war in Stuttgart, Wien, Paris, Köln. Später begleitete seine Tochter, eine Sängerin auf einer Konzertreise. In Riga erlitt er 1849 einen Gehirnschlag, angeblich weil seine Tochter nach einer mißlungenen Aufführung entlassen wurde. Sein Stück “Der Herr und sein Diener”, aufgeführt am 30. November 1815 in Stuttgart, ist übrigens verschollen. Vielleicht, weil es schon damals nicht mehr auf der Höhe seiner Zeit war.

© Friedrich Kern









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Der perfekte Diener (um 1900)