Von wegen Provinz: Augsburg überzeugt
                                                mit einer großartigen “Madama Butterfly



Das Wunder im Orchestergraben

“Poi Tristano”, “weiter wie im Tristan” schrieb Puccini über den Schluss der Oper. Freilich handelt es sich nicht um die “Madama Butterfly”, sondern um “Turandot”. “Wie Tristan” wurde deren Schluss allerdings nicht, der Komponist konnte oder wollte die Oper nicht vollenden. Doch könnte “wie Tristan” nicht über Teilen der “Butterfly” stehen? In Augsburg klingt es manchmal so: Diese absterbenden, tonlosen Holzbläser im dritten Akt. Oder das Liebesduett im ersten Akt, das so gar nicht mehr aufhören will. Kevin John Edusei dirigiert das Philharmonische Orchester Augsburg streckenweise wirklich “wie Wagner”. Er wählt meist ein langsames Tempo, bei der jeder Phrase Bedeutung verliehen wird. Die Klangfarben werden hervorgehoben, die Kontraste sind ausgeprägt. Das Orchester “spricht”. Und Puccini setzt diese Sprache raffiniert genug ein. Das Blütenduett etwa wird zur musikalischen Scheinblüte. Hier sprießt nichts mehr. Hier bleibt alles statisch, leblos, ein Abziehbild. Das traurige, wartende Trio im dritten Akt - Butterfly, ihr Kind und ihre Dienerin Suzuki - wird dann auch so hart beleuchtet, dass ein zweidimensionalen Bild entsteht. Es ist eine konsequente Umsetzung der Musik.

Freilich kennt Puccini auch die andere Seite: immer wieder wird die Dramatik gesteigert, bis hin zum Film(musik)reifen Selbstmord der Hauptfigur am Schluss. Edusei dirigiert auch dies konsequent, nicht im Sinne des Effekts, sondern ganz  im Sinne des Verismo, der Wahrheit. “So ist es”, weil es so in der Musik steht.

Das Wunder dieser Butterfly wurzelt im Orchestergraben. Die Musik schockt, sie beißt sich geradezu fest. Und sie weiß gleichzeitig immer um ihre Vorbilder, um Wagner, Verdi, Puccinis frühere Werke, die Impressionisten, die japanische Volksmusik. Auch dem erfahrenen Hörer wird echtes Neuland erschlossen. Höhepunkt des Abends ist dann Butterflys Vision von der Rückkehr Pinkertons. Bei diesem Dirigenten wird sie wird zur Hymne, die man ohne Weiteres neben die Freiheitsvision des Fidelio stellen kann. Wenn die US-Amerikaner eine musikalische Ausformulierung ihres “Recht auf Glück” und ihres Lob der individuellen Freiheit suchten, hier würden sie fündig.

Sally du Randt als Butterfly gestaltet diese Vision großartig, steigert sie vom zarten Anfang bis zu ihrer felsenfesten Überzeugung, dass Pinkerton sie rettet. Die Sängerin wurde als indisponiert angekündigt. Tatsächlich ist die Stimme im ersten Teil oft leise und unsicher. Im zweiten Teil merkt man davon nichts mehr. Die Sängerin lässt den Wechsel zwischen Sehnsucht, Verzweiflung und Wut mithören. Kerstin Descher springt als Dienerin Suzuki immer dann ein, wenn ihre Herrin schweigen will oder muss. In dieser Symbiose ist sie der Teil, der von Anfang an misstrauisch ist und immer mehr resigniert. Auch diese Entwicklung hört man. Fast ist es zu bedauern, dass Puccini der Figur nicht mehr Raum gegeben hat. Dong-Won Kim ist ein Pinkerton mit einem erwartbaren glänzenden Tenor. Ale Sanmartí als Sharpless, Roman Payer als Goro und das übrige Ensemble liefern eine solide Leistung.

Während die Musik ganz auf die innere Entwicklung gerichtet ist, liefert die Regie von Yona Kim die Außenseite. Präzise, ohne viel Aufwand, Mätzchen oder weltanschaulicher Überfrachtung wird die Geschichte einer unerfüllbaren Sehnsucht erzählt. Pinkerton gleicht hier einem Motorradrocker, dem man von Anfang kein Quentchen Treue oder Liebe zutraut. Sharpless, der sich dazwischen auch mal an Butterfly heranmacht, ist nicht viel besser. Die arme Butterfly versucht zwar alles sich in eine “echte” amerikanische Frau zu verwandeln, mit blonder Perücke und allem was dazugehört. Aber sie scheitert. Die USA sind unerreichbar, die Japaner haben sie ausgestoßen. Heimatlos geworden hat sie sich selbst zur Gefangenen ihres Wunschtraums gemacht. Am Schluss bleibt nur noch der Tod. Das Publikum kann nur erschüttert und hilflos zusehen.

© Friedrich Kern



Giacomo Puccini
Madam Butterfly

Musikalische Leitung: Kevin John Edusei
Inszenierung: Yona Kim
Bühne: David Hohmann
Kostüme: Katharina Weißenborn

Theater Augsburg
Besuchte Vorstellung: 8. Februar 2009
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Die nächsten Aufführung:
Samstag, 18. April, 19.30 Uhr

Theater Augsburg
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