Dieser “Lohengrin” ist ein musikalisches Wunder,
                                                                          doch die Regie versagt



Ergriffen von der blauen Blume


“Da wird er aber schon nervös sein.” Das bekam ich zur Antwort, als ich erzählte, Manfred Honeck dirigiere demnächst seinen ersten Wagner. Nein, nervös war der Stuttgarter GMD bei diesem “Lohengrin” nicht, auch im Orchester war nichts dergleichen zu spüren. Sicher: Ein paar Unsicherheiten am Anfang des berühmten, Vorspiels gab es, ein paar Wackler und ab und zu eine Unsauberkeit. Für eine CD-Produktion würde man noch feilen. Aber das alles fiel nicht ins Gewicht. Das Orchester spielt, als kenne es nur Wagner. Und Honeck dirigiert, als sei Wagner sein Leib- und Magenkomponist. Er kennt die Verbindung dieser Musik zur Vergangenheit, zu Beethoven, zu Lortzing, vor allem aber zu Weber. Er weiß, wohin diese Musik führen wird, zur Leitmotivtechnik, zum Ring, zum Parsifal. Er dirigiert das alles mit, macht es hörbar. Dabei ist alles, wie schon bei seiner “Aida”, durchsichtig, nachvollziehbar. Hier wird eine Geschichte musikalisch erzählt. Honeck streicht zudem die gefährlichen Seiten dieser Partitur heraus. Wenn es militärisch-deutsch wird, und das wird es beim Lohengrin leider oft, treibt er das Orchester bis zur Schmerzgrenze. Die Gewalt, die in diesem Stück eben auch steckt, wird nicht versteckt oder gemildert, der Zuhörer wird ihr ausgesetzt. Das Entscheidende: Honeck weiß um die Wunder dieses Opern-Hauptwerks der Romantik. Die blaue Blume, das Glück der Unendlichkeit und das unendliche Glück, hier ergreift sie den Zuhörer. Immer wieder wird geradezu hineingezogen in eine vollkommene Harmonie, die den ganzen Körper erfüllt.

Natürlich geht das nur mit sehr guten, am besten exzellenten Sängern und Sängerinnen. Die gab es an diesem Abend. Überragend war Wolfgang Koch als Telramund. Er ist ganz der betrogene Betrüger, ein Sänger-Schauspieler erster Güte, gesegnet nicht nur mit einer schwarzen, ausdrucksstarken Stimme, sondern auch mit einer enormen Textverständlichkeit. Mary Mills konnte als Elsa überzeugen. Im Lyrischen wie im Dramatischen sattelfest, macht sie ihre Sehnsucht, ihre Glück, ihre Zweifel glaubhaft. Scott MacAllister in der Hauptrolle, von Honeck nur fünf Tage vor der Premiere für Lance Ryan eingetauscht, steht eine Stimme zu Verfügung, die glänzen, dann wieder lyrisch zerfließen kann. Bei der Gralserzählung allerdings fällt sie ein wenig ab. Barbara Schneider-Hofstetter als Ortrud setzt auf ihr dunkles Timbre, Adam Kim ist ein perfekt besetzter Heerrufer und Attila Jun ein stimmlich würdiger wie sympathischer König Heinrich. Allerdings kämpft der Koreaner merklich mit der deutschen Sprache. Leider erwachsen - von Telramund und Elsa abgesehen - aus den sehr guten Sängern keine echten Charaktere, doch das hat auch mit der Regie zu tun. Davon gleich mehr.

Insgesamt kann sich die Musik hier mehr als hören lassen, das Haus braucht sich vor München, vor Wien, selbst vor mancher Bayreuth-Vorstellung nicht verstecken. Für diese Musik lohnt es sich nach Stuttgart zu kommen. Man hört einen “Lohengrin”, der wohl nahe an die Vorstellungen Wagners herankommt - mit all seinen Wundern, allerdings auch mit all seiner Gefährlichkeit.

Blasse Farbsymbolik

Doch kehren wir zurück zum Anfang, dem “Da wird er schon nervös sein”. Das trifft an diesem Abend vermutlich eher auf den Intendanten Albrecht Puhlmann zu. Denn Honeck besetzte nicht nur die Hauptrolle um, sondern gleich noch die Leitung des künstlerischen Betriebsbüros. Zu allem Überfluss sprang Regisseur Stanislas Nordey ab. Unüberbrückbare Differenzen zwischen Honeck und Nordey, so die offizielle Version. Es ging um den Chor, den Michael Alber wie immer hervorragend einstudiert hat. Nach Meinung Honecks war er akustisch schlecht aufgestellt. Das ist er leider immer noch, in fünf Tagen kann man ein Regiekonzept nicht umschmeißen. Der Chor ist übereinander in vier Reihen im Hintergrund aufgereiht, die Sänger und Sängerinnen jeweils im gehörigen Abstand. So leidet der Chorklang merklich, er erhält nicht die Fülle und Einheitlichkeit, die man in Stuttgart gewohnt ist. Aber das ist nicht nur eine akustische Frage. Einheitlich, erst in schwarz, dann in weiß gekleidet, wird der Chor zur amorphen Masse und aus dem Geschehen katapultiert, er bleibt ein Fremdkörper. Bei einer Choroper wie dem Lohengrin ist das mehr als ein Schnitzer. Auch sonst ist Nordey nichts eingefallen. Die Sänger und Sängerinnen stehen steif herum, ihre Gestik ist von vor-vorgestern. Ein bißchen Farbsymbolik (weiß=gut; schwarz=böse; rot=Liebe), das wars schon. Eine zeitgemäße Form für das “Wunder”, also das Erscheinen Lohengrins, hat man gar nicht erst gesucht. Kurz: Nordey hat sich erfolgreich vor allen Aufgaben gedrückt, die einem “Lohengrin”-Regisseur heute zufallen. Ein Konzept, selbst einen einzigen ausgefeilten Gedanken sucht man vergeblich. Da kommt der Verdacht auf, er sei vor seiner eigenen Inszenierung geflohen. Das Buhkonzert lag in der Luft, fand aber keinen Adressaten. Von der Regieseite stellte sich niemand dem Publikum, die Musiker wurden bejubelt.

Im Machtgefüge des Opernhauses hat der Generalmusikdirektor seine Position mit diesem “Lohengrin” sicher gefestigt. Für Puhlmann aber wird es schwieriger. Die Entscheidung über eine Vertragsverlängerung steht an, und ein Grummeln in Presse und Politik ist zu vernehmen. Man sollte da vorsichtig sein. Streiks und Krankheiten fallen nicht in die Verantwortung eines Intendanten. Außerdem waren “Actus tragicus”, “Pelléas et Mélisande”, “Jenufa” oder “La Juive” hörens- und sehenswerte Aufführungen. Trotzdem: Was die Auswahl von Regisseuren und die kritische Begleitung ihrer Arbeit betrifft, hackt es zu oft in Stuttgart. Hier muss Puhlmann unbedingt nacharbeiten. Eine Oper lebt nicht von der Musik allein, sei sie noch so gut.   

© Friedrich Kern








Richard Wagner
Lohengrin

Musikalische Leitung: Manfred Honeck
Regie nach der Konzeption von Stanislas Nordey (Regie), Emmanuel Clolus (Bühne), Raoul Fernandez (Kostüme), Philippe Berthomé (Licht)

Staatsoper Stuttgart
Besuchte Vorstellung: 29. März 2009 (Premiere)
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Die nächsten Aufführungen:
Donnerstag, 2. April, 18 Uhr
Mittwoch, 8. April, 17 Uhr
Montag, 13. April, 17 Uhr
Sonntag, 19. April, 17 Uhr
Samstag, 25. April, 18 Uhr
Sonntag, 3. Mai

Staatsoper Stuttgart

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