Der Regisseur flüchtet sich in Beliebigkeit,
                                                                      während der Dirgent rast. 



Ein Lohengrin der lauten Töne

Zugegeben: Wagners “Lohengrin” ist ein harter Brocken für Regisseure. Die Deutschtümmelei und der Militarismus (“Was deutsches Land heißt stelle Kampfes Scharen”) ist schier unerträglich. Und die Story vom Märchenprinzen, der plötzlich aus dem Nichts auftaucht, erscheint infantil. Die Mischung aus beiden ist bestenfalls seltsam. Drei Möglichkeiten hat der arme Regisseur. Er kann das Stück, seine Protagonisten und ihre Gefühle ernst nehmen - trotz allem. Er kann sich irgendwie durchmogeln. Er kann das Stück auch parodieren oder ironisieren, doch was bringt das?

In Nürnberg wählt Regisseur Michael Simon zunächst den letzten Ansatz. Alle Sänger versammeln sich erst einmal um ein Spielfeld mit Ritterfiguren. Auf dem Spieltisch finden sich die Protagonisten in Kleinformat wieder: Es gibt also eine Kunststoff-Elsa, einen Kunststoff-König und so fort. Das erinnert ein bißchen an Zinnfiguren, aber auch an Rollenspiele, die ja immer noch beliebt sind. Das Geschehen findet zunächst nicht auf der Bühne, sondern auf dem Spielfeld statt, für die Zuschauer wird es auf eine große Leinwand übertragen. Die Handlung wird erst verkleinert, dann wieder vergrößert und so ironisiert.

Doch dann bricht etwas Unvorhergeshenes, Regelwidriges, ins Spiel: Lohengrin kommt wirklich. In diesem Moment dreht Dirigent Christof Prick mit den Nürnberger Philharmonikern und dem Chor so auf, als müsste das die ganze Stadt mitbekommen. Wenig spektakulär kommt das “Wunder” allerdings auf der Bühne daher. Ein Puppenspieler mit Lohengrin-Double erscheint, der Sänger singt aus den Kulissen. Der Held als Puppe, die Idee ist gut: Lohengrin ist ja eine Art “Undine”-Figur, ein überirdisches Wesen, das Mensch werden will. Und Elsa phantasiert sich ihren Traumprinzen zurecht. Ein kurzer Zweikampf (Lohnegrin-Puppe gegen Telramund-Sänger) folgt. Prick tobt sich mit Orchester und Chor noch einmal voll aus, dann ist der erste Akt um.

Wer viel Erfahrung mit Opernregie hat, ahnt es: Das ist ein beeindruckender, ja origineller Beginn, von nun an geht’s bergab. Das geht es dann auch. Durch den Rest des Abends mogelt sich Simon druch: Ein bißchen Verfremdungs-Effekt nach Brecht (Regieanweisungen werden eingeblendet), ein bißchen Puppen. Hier gibt es schwarze Menschen-Atrappen dort ein weißes Münster in klein. Vor allem aber gibt es viel Videoprojektionen, mal vorbereitet (Elsa und Ortrud auf Brautmodenschau), mal mit Livekamera (Blick ins Brautzimmer). Das  ist beliebig und so beliebig sind auch die Aussagen des Regisseurs im Programm. Ein paar gelungene Szenen gibt es zwar: Einmal etwa gräbt sich Ortrud beinahe in die Erde ein, als fände sie dort ihre alten, heidnischen Götter. Gelungene Details  täuschen aber nicht darüber hinweg, dass Simon kein Konzept für das Stück hat - und keinen Standpunkt zu ihm. Zudem steht der Chor die meiste Zeit an der Rampe singt geradewegs ins Publikum. Das hat Prick durchgesetzt, so ist zu lesen. Wer auch immer hier im Streit zwischen Regisseur und Dirigent gesiegt hat, die Folge ist jedenfalls lähmende Statik auf der Bühne.

Wirklich zufrieden kann man auch mit der musikalischen Seite nicht sein. Spannend wird es, wenn Prick so richtig loslegt, als ginge es um die Formel Eins. Das Ende des ersten Aktes hat man wohl selten so furios gehört. Hier wollte Wagner sich selbst und die Jubelgesänge Beethovens übertreffen. Nicht nur hier leisten Musiker und Chor (Einstudierung: Edgar Hykel) Enormes, auch wenn es im Zusammenspiel ab und zu eine wenig hackt. Die andere Seite allerdings, die Sphärenwelt des Grals, die Nachtseiten Ortruds, kommen bei Prick unter die Räder. Er zeichnet fast immer mit kräftigen Farben und breiten Pinsel. Die leisen, lyrischen Töne, die leisen Wunder des Lohengrin, werden dem Publikum weitgehend vorenthalten.

Bei dieser Kraftmeierei können die Sänger zwar mithalten, haben aber wenig Spielraum, sich zu entfalten. Stefan Vinke ist von Anfang bis Ende ein strahlender Lohengrin und gestaltet die Gralserzählung als Höhepunkt seiner Partie. Kirsten Blanck sprang kurzfristig als Elsa ein. Sie steigert sich kontinuierlich und überzeugt dann im dritten Akt, als sie immer mehr auf Lohengrin eindringt. Jürgen Linn als Telramund und Ruth Maria Nicholay verkörpern die Nachtseiten der Handlung. Bei ihnen ist es noch am meisten von der inneren Dramatik dieser Oper zu spüren. Beide sind ausdrucksstark und können mit ihren Stimmen wuchern. Linn überzeugt zudem durch Textverständlichkeit. Guido Jentjens als König und Jochen Kupfer als Heerrufer absolvieren ihre Partien ohne Fehler, sind aber  weitgehend Stichwortgeber.

Der Lohengrin wird vom neuen Intendanten nicht übernommen. Das ist vielleicht auch besser so, denn überzeugend ist die Produktion nicht.


© Friedrich Kern









Staatstheater Nürnberg
Richard Wagner
Lohengrin

Musikalische Leitung: Christof Prick
Inszenierung und Bühne: Micahel Simon
Kostüme: Eva Spott
Video: Flurin Borg Madsen

Staatstheater Nürnberg
Besuchte Vorstellung: 18. Mai 2008
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