Bitte hinhören: So muss es klingen,
                                                           wenn ein Ensemble Rossini singt

Männer in Nonnentracht


Liest man das Libretto von Rossinis “Le Comte Ory” fühlt man sich an Louis de Funès erinnert. Der mimte in seinen Filmen gerne einmal die Nonne. Ähnlich ist es hier: Der Graf von Ory, eine undämonischer Don Giovanni, verkleidet sich, um seinen Geschäften nachgehen zu können. Erst mimt er einen Eremiten, dann eine Nonne. Sein besonderes Augenmerk hat er auf die Gräfin Adele gerichtet und seine Chancen stehen nicht schlecht. Adeles Mann ist mit seinen Kammeraden auf Kreuzzug, den Frauen wird die versprochene Keuschheit langweilig. Nur sein Page (eine Art Cherubino) kommt Ory in die Quere, denn der liebt die Gräfin ebenfalls. Dann gibt es noch einen Erzieher des Grafen, der dessen Eskapaden verhindern soll. Zum Äußersten kommt es nicht. Zwar schleichen sich Ory und Kumpane als Nonnen verkleidet ins Schloss ein, doch in letzter Sekunde kehren die Kreuzritter zurück.

Handlung und Musik dieser Oper sind zum großen Teil recycelt. Autor Eugen Scribe hat ein altes Vaudeville ausgegraben und Rossini hat einfach große Teile seiner Oper “Il viaggio a Reims” neu textiert. Das merkt man. Man merkt aber auch, dass die beiden selbst bei schlampiger Arbeit Könner bleiben: Das Werk hat Glanz genug, um Musiker und Regisseure zu reizen.

Das gilt vor allem für den musikalischen Teil, der in Stuttgart gut zur Geltung kommt: Besonders Ina Kancheva als Adele überzeugt mit perlenden Koloraturläufen, hat aber auch das lyrische Gefühl parat, das bei Rossini immer den nötigen Kontrast dazu bildet. Adam Kim als Raimbaud, Orys Gefährte, ist ein Spielbass, dem man gerne zuhört und -sieht. Seine Erzählung über die Entdeckung des Weinkellers wird zu Recht mit viel Applaus belohnt. Victoria Simmonds hat für den Isolier den passenden hellen Mezzosopran. Allerdings wünschte man sich noch etwas mehr Persönlichkeit, auch in der Stimme. Dass die fehlt, liegt aber auch an der Regie, die mit dieser Rolle gar nichts anzufangen weiß. Routiniert ist Matias Tosi als Erzieher. Angelo Scardina in der Titelrolle hat einen hellen, strahlenden Tenor mit dem verführerischen Etwas. Den letzten Schliff hatte er an diesem Abend nicht, die Koloraturen kamen nicht ganz so leichtfüssig daher. Allerdings muss man zugestehen, dass Rossini gerade für diese Rolle einiges an Schwierigkeiten bereithält.

Zu Höchstform laufen die Sänger allerdings bei den Ensembles auf. Das erste Finale beginnt mit einer A Capella-Passage, die so zart, sauber und durchsichtig gesungen wird, dass das Ohr geradezu verzückt wird. Auch die anschließende musikalische Raserei überzeugt, zumal der Chor sich auf die Leichtigkeit und Motorik Rossinis einstellt. David Parry am Pult des Staatsorchesters verlässt sich auf den Komponisten. Ohne Experimente folgt er dem jeweiligen Charakter der Musik, egal ob ein Sänger sein Herz ausschüttet oder ein Sturm aufzieht. Das Staatsorchester folgt und ist nur hier und da nicht ganz exakt.

Während die Sänger also ihre Freude haben (und machen), haben Regisseur Igor Bauersima und Dramaturg Sergio Morabito vielleicht etwas zu sehr gegrübelt. Man kann mit solchen Stücken ja verschieden umgehen. Erstens: als Klamotte inszenieren. Zweitens: Das rausholen, was an Gesellschaftskritik und Parodie versteckt ist. Drittens: Eine eigene, persönliche Interpretation darüber werfen, das Stück also neu erzählen. Entscheiden konnte man sich in Stuttgart nicht: So spielt die Oper zwar im “Heute”, die Nonnen hat man aber beibehalten. Irgendwie kritisch sollte es wohl werden. Am Ende bleiben nur ein paar Gags und parodistische Anspielungen, beide meist schwach. Wer über Männer in Nonnenkleidern lachen will, ist bei Louis de Funès noch immer besser aufgehoben.

© Friedrich Kern








Gioachino Rossini
Le Comte Ory

Musikalische Leitung: David Parry
Inszenierung und Bühne: Igor Bauersima
Kostüme: Johanna Lakner
Video: Georg Lendorff

Staatsoper Stuttgart
Besuchte Vorstellung: 22. November
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