Ein zwiespältiger Abend:
                                                      Die Musiker sind fast in Höchstform,
                                                              die Regie aber hängt in der Luft



Zu schön, um zu packen


Einmal sang man  im Familienkreis das Quartett aus Mozarts “Idomeneo”. Plötzlich lief der Komponist hinaus und war lange nicht zu trösten. “Mozart von eigener Musik überwältigt” würde wohl die Schlagzeile lauten. Ob die Geschichte nun wahr ist oder nicht, tatsächlich drängeln sich die traurig-schönen Arien und Duette im “Idomeneo” geradezu. Alle leiden hier, unter Liebesqualen, Zurückweisung und unter Angst. Vor allem leidet die Titelfigur Idomeneo: Der König hat Neptun versprochen, den ersten Menschen zu opfern, den er am Strand sieht - wenn er sicher heimkehrt. Doch der erste, der ihm begegnet ist ausgerechnet sein Sohn Idamente. Von nun an versucht Idomeneo dem eigenen Versprechen auszuweichen. Erst eine Stimme aus dem Jenseits befreit vom Opfer und schafft eines gutes Ende.

Die Staatsoper Stuttgart hat für ihren “Idomeneo” ein Sängerensemble zusammengebracht, das sich hören lassen kann. Am wenigstens auffällig ist vielleicht Tajana Raj in der Hosenrolle des Idamente. Sie bleibt den ganzen Abend vor allem edel in Stimme und Haltung. Matthias Klink gibt auch stimmlich einen Idomeneo, den man seine steigende Verzweiflung abnimmt. Sunhae Im ist eine überzeugende Ilia, sie verkörpert glaubwürdig die Sehnsucht nach Geborgenheit und Liebe. Elettra ist wahrscheinlich die interessanteste Rolle im Stück. Sie kann ihren Schmerz erst in viel lyrischen Passagen verbreiten, am Schluss darf sie eine finale Rachearie schmettern, der es an nichts fehlt. Simone Schneider macht beides mit Begeisterung und makellos. Insgesamt ist das technische Niveau der Sänger sehr hoch und in den Ensembles, etwa jenem Quarttet, schaffen sie Höchstleistungen. Solch ein ausgeglichenes Ensemble für den “Idomeneo” zu haben, bedeutet echtes Glück (für das Opernhaus und die Zuhörer).

Diese Leistung wird komplettiert und erst möglich gemacht durch das Staatsorchester unter Manfred Honeck. Der GMD, bekennender Mozart-Fan, hatte sich das Stück gewünscht. Und er tat wirklich alles, damit es an diesem Abend leuchtet. Honeck dirigiert zurückhaltend und federnd, niemals werden die Sänger überdeckt, sie werden gestützt. Selbst wenn es einmal laut zugeht, wenn es donnert und stürmt oder das Volk, dargestellt vom fabelhaften Chor, den Aufstand probt, wird es nicht schaurig. Je länger der Abend dauert, desto zarter werden die Holzbläser, man schreitet, wie einst Dante von einer Sphäre in die andere, als solle man zur Schönheit selbst geführt werden. Das geschieht am Ende dann doch nicht, denn das Orchester spielt zwar schön, aber nicht präzis genug, und die mangelnde Präzision verschwindet bis zum Schluss nicht. Schade, aber man weiß jetzt immerhin, warum so viele für den “Idomeneo” schwärmen.

Und nun das Problem: Schöngesang allein macht noch keinen spannenden Opernabend. Zu Mozarts Zeiten, als das Christentum noch (mehr) galt, mag man an Abraham gedacht haben, der auf Befehl Gottes Isaak opfern soll. Aber was sagt uns so eine Geschichte heute? Man mag sich über einen Gott empören, der solch ein Opfer verlangt. Das aber setzt voraus, Idomeneos Versprechen Ernst  zu nehmen. Können wir das wirklich? Zudem: Die geballte Schönheit der Musik verdrängt die Kontraste. Schon in der Oper selbst kommt der Schrecken irgendwie zu kurz, trotz Meeressturm und Seeungeheuer. Wer sich an den “Idomeneo” wagt, beweist also Mut, denn ein Selbstläufer ist die Oper wahrlich nicht. Nötig sind Ideen und eine Dramaturgie, die auch den Menschen von heute packen. Waltraud Lehner (Regie), Susanne Gschwender (Bühne) und Werner Pick (Kostüme) scheitern an dieser Aufgabe. Sie wollen zeigen, wie sich der Krieg nicht abschütteln lässt, wie er auch die privaten Beziehungen im heimatlichen Frieden bestimmt. Immerhin kehrt Idomeneo gerade von Troja zurück und Ilia ist eigentlich eine Kriegsgefangene. Doch von den Folgen des Krieges sieht und spürt man wenig: In einer Einheitsbühne, schwarz-grau und kalt, stehen die Sänger meist hilflos herum, meist kommt es zu wenig überzeugenden Gesten. Die spannendste Szene ist eine militärische Totenehrung: Witwen und Waisen bekommen einen Orden, Mozarts herrliche Musik wird mißbraucht, um die Schrecken des Krieges zu überdecken. Da ist etwas von der Verlogenheit solcher Zeremonien zu spüren. Ein paar weitere hübsche Bilder gibt es noch. So isst Elettra seelenruhig ihren Kuchen, während das Volk vor dem Seeungeheuer flieht, vielleicht eine Anspielung auf Marie-Antoinettes Ausspruch: “Wenn sie kein Brot haben, sollen sie doch Kuchen essen”. Auch das Finale kann nicht mehr darüber täuschen, dass die Inszenierung in der Luft hängt und nicht zu einem Konzept findet. Vielleicht aber ahnt das Publikum, welch harter Brocken diese Oper ist. Das Regieteam bekommt nur ein paar einzelne, schwache Buhs. Sänger, Orchester und Dirigent dagegen werden ausgiebig gefeiert.

© Friedrich Kern








Wolfgang Amadeus Mozart
Idomeneo

Musikalische Leitung: Manfred Honeck
Inszenierung: Waltraud Lehner
Bühne: Susanne Gschwender
Kostüme: Werner Pick

Staatsoper Stuttgart
Besuchte Vorstellung: 3. April 2008
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Staatsoper Stuttgart

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