Der Regisseur Claixto Bieito begibt
                                             sich auf gesellschaftskritische Geisterfahrt



Gestrandete Manager


Keine Frage: Wagners “Der fliegender Holländer” ist ein aufregendes Stück. Der Dichterkomponist schrieb es mit 28 Jahren, doch es haftet ihm etwas Pubertäres an, etwas Kompromissloses, etwas vom “ich gegen die Welt”. Tatsächlich endet das Ganze mit einem Selbstmord. So zumindest kann man Sentas Sprung in den Tod auch verstehen. Allerdings: so ganz pubertär war Wagner dann doch nicht mehr. Der Holländer ist eben auch ein fabelhaft erzählter Mythos über den umherirrenden Menschen, über unsere ewige Suche nach einer bleibenden Heimat. In ihrer letzten Schicht ist diese Oper zutiefst religiös.
Davon bleibt in Calixto Bieitos Inszenierung an der Stuttgarter Staatsoper nichts übrig. Das überdesignete, und deswegen schlecht lesbare Programmheft zeigt es schon: hier wird kräftig Gesellschaftskritik geübt. Man muss sagen: die Oper wird darauf reduziert. Die Männer sind als Manager im Schlauchboot unterwegs, die Mädchen tänzeln um gut gefüllte Kühlschränke. Im dritten Akt gibt es statt Essen und Trinken reichlich Küchengeräte (Vorsicht: “Konsum!!!” - Wer einen Mixer besitzt, ist ein Sklave des Kapitalismus!) Drei exotische Tänzerinnen mit Federbusch bevölkern die Bühne und der Steuermann denkt nur an Sex. Und damit die Gesellschaftskritik auch jeder kapiert, wird Wagners Text auch noch ins Publikum gesungen: “Sie sind schon alt, und bleich statt rot, und ihre Liebsten, die sind tot”. Nun, tot sind die Zuschauer dann doch nicht. Tot ist allerdings ein Regietheater, das sich damit begnügt, Bilder und Symbole - die einmal frisch und provokant waren - immer neu zusammenzustellen. Dass Bieitos Regie auch handwerklich ziemlich klappert, zeigt das nur noch mehr. Denn wenn es auf der Bühne einmal nicht so aufgeregt zugeht wie beim Untergang der Titanic, wirkt sie hilflos. Als Senta und der Holländer endlich zusammenkommen, bleibt die Inszenierung einfach stehen und die beiden geraten fast ins Rampensingen.
Freilich: Auch Enrique Mazzola am Pult trägt wenig dazu bei, dass dies ein aufregender Abend wird. Gespielt wird die Urfassung von 1841, die noch etwas schroffer ist als die spätere Bearbeitung. Aber von der Unbedingtheit dieser Musik, von ihrer Dämonie, ist zu wenig zu hören. Zuspitzen bis ins Extrem, die ganze Gewalt dieser Partitur entfesseln, das gelingt Mazzola nicht. Allerdings dürfen seine Qualitäten nicht unterschlagen werden. Wenn es um Melodie und Klangfarbe geht, lässt einen dieser Dirigent staunen. Es ist, als würde man plötzlich in eine andere Zeitdimension versetzt und all die Schönheit wie mit einer Lupe betrachten. Hier kann man wirklich Entdeckungen machen. So wird etwa klar, wie stark Wagner vom Belcanto beeinflusst war. Für einen wirklich guten “Holländer” reicht das aber nicht. Und so erreicht auch das Staatsorchester nicht durchgehend die Klasse, die man sonst hören kann.  
Bleiben die Sänger: Herausragend ist hier Barbara Schneider-Hofstetter als Senta - eine Stimme mit Kraft und Ausdruck, die aber die lyrische Seite kaum hören lassen kann. Wie immer eine Freude zu hören: Heinz Göhrig, der hier den Steuermann singt. Attila Jun, bei ihm kommt sogar etwas Spielfreude auf, gibt einen soliden Donald. Hilke Andersen übernimmt die wirklich undankbare Nebenrolle der Mary. Yalun Zhang als Holländer bringt zwar einen echten Heldenbariton mit, außerdem hat er auch noch einen Schuss Kavalierbariton. Aber aufs Ganze gesehen hat er für die Partie zu wenig Kraft.  Lance Rayn als Georg dagegen bleibt im Gedächtnis. Er hat eine wunderbare kräftig-lyrische Stimme, ideal für dieses schwierige Zwischenfach. Leider war sie an diesem Abend technisch nicht ganz auf der Höhe. Das mag auch mit der übertrieben aufgeregten Inszenierung zu tun haben. Sie drückt die musikalische Interpretation insgesamt an die Wand, was sich bei den Sängern bemerkbar macht. Nur der Chor, dieses Stuttgarter Wunder, lässt sich davon kaum beeinflussen und glänzt wie gewohnt.
Was bleibt? Am Ende bekommen Zhang, der Dirigent Mazzola und vor allem das Regieteam reichlich Buhs ab, doch der Applaus überwiegt. Richtig gefeiert werden Schneider-Hofstetter und der Chor.

© Friedrich Kern








Richard Wagner
Der fliegende Holländer

Musikalische Leitung: Enrique Mazzola
Inszenierung: Calixto Bieito
Choreographische Mitarbeit: Lydia Steier
Bühne: Susanne Gschwender, Rebecca Ringst
Kostüme: Anna Eiermann

Staatsoper Stuttgart
Besuchte Vorstellung: 25. Januar 2008
Zurück
Staatsoper Stuttgart

Zurück