Übers Meer, übers Meer,
                                                                         stürmt's Orchester her.


Ein musikalischer Rembrandt

Ein Patchwork ist dieser “fliegende Holländer” des jungen Richard Wagners, eine krude Mischung aus Beethoven, Weber, Marschner, Lortzing und Bellini, aus “Noch-Nummernoper” und “Noch-Nicht-Musikdrama”, aus nachpubertären Überschwang und schon reifer Komposition, aus tiefster Depression und utopischer Erlösungshoffnung. Einer weiß das offenbar sehr gut, und das ist Stefan Soltesz am Dirigentenpult der Münchener Staatsoper. Der Essener Generalmusikdirektor versucht hier nichts zu glätten, was nur mit Gewalt zu glätten wäre. Er weiß immer wo er sich befindet, in der Spieloper, in der romantischen Geisterwelt, auf hoher See oder bei der utopische Liebe zwischen Senta und dem Holländer. Die Kontraste zwischen den einzelnen Teilen ist deutlich zu erkennen. Und auch innerhalb der einzelnen Teile gibt es ein deutliches Licht-Dunkelverhältnis. Es ist, als würde man ein Rembrandt-Gemälde hören (besonders dessen dunklen Seiten) und das ist sicherlich so beabsichtigt. Schließlich ist die Hauptfigur ein Holländer, der - folgt man Wagner - schon seit dem 17. Jahrhundert übers Meer irrt. Insgesamt wird klug und reflektiert dirigiert, was immer eine Freude ist. Nur einmal, am Beginn des dritten Aktes, ist Soltez etwas zu heftig. Weil er gleich zu laut einsteigt, wird die grandiose Steigerung bis hin zum “Chorgefecht” zwischen den Matrosen und der Besetzung des Geisterschiffs verspielt.

Soltesz kann sich bei seiner Interpretation natürlich auf famose Musiker stützen: Da gibt es einen stimmächtigen Chor (mit nur wenigen Wacklern), einstudiert von Andrés Máspero. Vor allem gibt es ein Orchester, das schon in der Ouvertüre voll in Fahrt kommt. Dieses Orchester stürmt, als wollte es mit dem echten Meer in Konkurrenz machen, später klingt es herrlich zart. Alle Klangfarben kann man ihm entlocken, ohne dass es große technische Probleme gibt.

Ebenfalls gut bis sehr gut ist die Sängerriege, vor allem wenn man bedenkt, dass die Ur-Fassung gespielt wird. Das bedeutet: Zweieinhalb Stunden ohne Pause für alle Beteiligten: Wolfgang Brendel, der alte Wagner-Recke, gibt einen Holländer, dessen Stimme mal so schwarz-verzweifelt ist wie seine Kleidung und dann auf Kavalierbariton eines Don Juan umschaltet. So fremd ist dieser Holländer gar nicht, sondern sehr menschlich: Man leidet mit und hofft mit ihm auf Erlösung. Eva Johansson kann vor allem in der Höhe mit einem jugendlich-zarten Sopran punkten. Ihren sehnsuchtsvollen Wunsch, zu erlösen und erlöst zu werden, nimmt man ihr sofort ab. Nicht zu überhöhren ist allerdings, dass sie Probleme mit der tiefen Lage und dem Registerwechsel hat.  Doch im zweiten Akt, wenn die beiden sich näher kommen, blühen die Stimmen auf, die Utopie, die Wagner hier in Musik setzt, wird greifbar. 

Kurt Rydl ist ein großartiger Daland, ein voluminöser Spiel-Bass, der ausgezeichnet zu so einem alten Kapitän und (sanften) Patriachen passt. Cynthia Jansen ist eine solide Mary. Kevin Conners glänzt als Steuermann (mit ein paar Unsicherheiten). Kurt Streit schließlich ist kurzfristig als Erik eingesprungen. Schaut man sich sein Repertoire an (alles von Monteverdi bis Janácek) scheint er für den eher weichen Erik beinahe der ideale Sänger zu sein. An diesem Abend allerdings ist er zu laut, das lyrische Element kommt zu kurz.  Doch Streit ist vorher viereinhalb Stunde über die Autobahn gebraust und in eine ihm unbekannte Inszenierung gestolpert. Unter den Voraussetzungen kann so ein Urteil bestenfalls ein vorläufiges sein.

Ein Teil des Publikums dürfte allerdings nicht wegen der prächtigen Musiker nach München gekommen sein, sondern wegen der Regie. Peter Konwitschny, dieser kluge Provokateur, hat mit der Inszenierung seinen persönlichen Wagnerzyklus weitergetrieben. Bei der Beurteilung wird wohl die Erfahrung des Zuschauers die Rolle spielen: Wer Konwitschny hier zum ersten Mal sieht, ist vielleicht freudig (oder ärgerlich) überrascht. Konwitschny-Kennern muss diese Inszenierung aber fast konventionell erscheinen. Auch er und Johannes Leiacker (Bühne und Kostüme) greifen die Disperatheit des Stückes auf: Im ersten Akt gibt es ein echtes Kulissenbühnenbild zu sehen, das an die Papiertheater des 19. Jahrhundert erinnert. Im zweiten Akt gibt es dann ein modernes Fitness-Studio, im dritten Akt eine Kneipe, die mehr irisch als norwegisch aussieht. Überall bewegt sich der Holländer (samt Mannschaft) als ein völlig Fremder, verstanden nur von Senta. Langeweile kommt bei dieser Inszenierung nicht auf: Alles ist prächtig ausgespielt und auf die Musik abgestimmt, vom zweifelhaften Handel zwischen Daland und dem Holländer über die “Spinnstube” bis zu Prügelei der Matrosen und dem Knalleffekt am Schluss. Es ist ein Vergnügen hier zuzusehen, sicher. Aber es gibt kein “Aha-Erlebnis” in dieser Inszenierung wie bei Konwitschnys “Parsifal” oder “Rosenkavalier”, nichts was plötzlich eine neue Perspektive im Kopf frei macht.

Das gilt allerdings nicht für die Musik an diesem Abend, an der Wagner bestimmt seine Freude gehabt hätte. Man hört, wie sie dem Publikum von 1842 ins Ohr gefahren sein muss. Dank Stefan Soltesz begreift man, welch genialer Komponist Wagner sein konnte und worum es ihm ging: Um die Umwälzung der Gesellschaft durch die Kunst. Man begreift allerdings auch, wie gefährlich diese Idee sein kann. So schlägt an diesem Abend die Musik die Inszenierung klar nach Punkten. In einem  regietheaterfixierten System ist das keineswegs eine schlechte Nachricht. 

© Friedrich Kern









Richard Wagner
Der fliegende Holländer

Musikalische Leitung: Stefan Soltesz
Inszenierung: Peter Konwitschny
Bühne und Kostüme: Johannes Leiacker

Staatsoper München
Besuchte Vorstellung: 5. Oktober 2007
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Die nächsten Aufführungen:
Donnerstag, 14. Mai, 19.30 Uhr
Sonntag, 17. Mai,  19.30 Uhr
Donnerstag, 21. Mai, 16 Uhr


Bayerische Staatsoper München
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