Bei der Premiere
                                                                           streikten die Musiker



Hören Sie auf den Pianisten


N
ein, das haben wohl auch alte Opern-Hasen noch nicht erlebt. Es erinnert an absurdes Theater: Der Dirigent leitet Sänger, Chor und ­- einen Pianistin. Dieser armer Mensch soll all die Geigen, Flöten, Klarinetten, Trompeten und was sonst noch Töne macht ersetzen. “Ein Ritter von der traurigen Gestalt”, bemitleidete eine Zuschauerin den Dirigenten. Und sein treuer Sancho Panza, kann man hinzufügen.

Was war passiert? Die Orchestermusiker hatten sich entschlossen zu streiken, auch bei den Premieren in Frankfurt und Münster gab es nur Klavier. Die Hinter-Gründe sind nicht leicht zu durchschauen, denn Bühnenverein und Orchestervereinigung werfen sich gegenseitig Desinformation vor. Im Kern geht es darum, ob die Musiker am Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes angekoppelt bleiben. Aber eine Premiere bestreiken? “Ein Sündenfall”, so der Stuttgarter Intendant Albrecht Puhlmann, “eine Premiere ist heilig.” Die Streikposten draußen warnen dagegen vor “amerikanischen Verhältnissen”. Das bewährte deutsche Theater- und Orchestersystem sei bedroht. Einige Besucher zeigen Verständnis, manche lassen ihrer Wut freien Lauf. Im Opernhaus sind dann viele Plätze frei.

Auf eine reduzierte Aufführung muss notwendig eine reduzierte Kritik folgen. Es ist nur fair, Dirigent Marc Soustrot gleich gar nicht zu beurteilen. Man kritisiert einen Maler auch nicht nach einer Schwarzweiß-Fotografie. Soustrot versucht seine Bestes und das gilt auch für den Star des Abends. Thilo Lange, der Retter am Klavier, wird gefeiert wie eine Primadonna. So rücken einmal die unentbehrlichen Zu-Arbeiter ins Licht: die Korrepetitoren. Sie studieren die Partien mit den Sängern ein und ersetzen bei den vielen Proben das Orchester. Man kann hören und sehen, dass dies harte Arbeit ist. Lange allerdings war am Ende nicht wirklich glücklich über den Applaus - er war erschöpft. 

Aber auch der beste Pianist kein Orchester ersetzen, den Stimmen fehlt ihre Grundlage. Dafür haben sich die Sänger und Sängerinnen gut geschlagen. Am überzeugendsten gelang dies Shigeo Ishino als Onegin. Er ist ein Kavaliersbariton wie er im Buche steht. Seine Stimme trägt, sie schmeichelt dem Ohr und könnte auch Tatjana schmeicheln,  wenn ihr Besitzer das nur wollte. Ishino gibt den gelangweilten Schnösel so perfekt, dass man Mitleid bekommt. Karine Babajanyan als Tatjana fand erst nach und nach zu ihrer großen Form. Ihr Spiel ist schon in der Briefszene beeindruckend, die Stimme erhält ihre volle Wucht erst am Schluss, wenn sie den ganzen Frust über die verpasste Liebe hinaussingt. Roman Shulakoff als Lenskij hat eine helle, leichte, strahlende Tenorstimme, doch das Orchester als Grundierung und Dialogpartner fehlt dann doch. Das gilt auch für die übrigen Sänger: Trine Øien  ist eine selbstbewußte Larina, Cornelia Wulkopf eine passable, hier wenig mütterliche Amme, Tajana Raj eine eher unauffällige Olga. Liang Li gibt bei seiner großen Arie etwas zuviel Druck. Der Chor, diesmal einstudiert von Johannes Knecht, zeigt sich wie immer in bester Verfassung. Eine besonders schöne Rolle hat Heinz Göhrig. Mit einer feinen, weichen, farbig-glänzenden Stimme spielt er den Triquet.  Der ist hier kein verzopfter Franzose, den es in die russische Provinz verschlagen hat. Triquet ist ein Obdachloser, ein Außenseiter und von Anfang an auf der Bühne. Sein Spiel bringt Charme, Licht, Würde. Wenn er mit Tatjana zu tanzen anfangt (vielleicht war es ja selbst einmal ein Onegin), dann spürt man die Kraft der Zuneigung, ja der Liebe, die die Menschen bestimmen sollte.

Denn die Welt, die Waltraud Lehner auf die Bühne bringt, ist kalt. Die Handlung ist ins Nach-Wende-Rußland der 1990er Jahre verlegt. Larina ist nicht mehr Guts- sondern Hausbesitzerin, die erst einmal tüchtig “entmietet” und dann luxussaniert. In der Atmosphäre des steigenden Wohlstands ist kein Platz für Gefühle, sondern nur für Besitz. Immer wieder gelingt es der Regisseurin die Personen spannungsreich zu führen. Besonders die Beziehung (besser: Nichtbeziehung) zwischen Tatjana und Onegin lässt einem den Schauer über den Rücken laufen. Das gilt aber nur für den ersten Teil. Der dritte Akt versinkt in Schnee eines Wintersportorts. Die Idee einer “Eiswüste” mag sich auf der Bühne (Kazuko Watanabe) einfach nicht überzeugend realisieren, die Personenregie verflüchtigt sich. Was übrigbleibt sind Rampensingen und der reichliche Gebrauch der Nebelmaschine.
Dass es wenig Buhs gab, lag sicher an den Umständen. Das Publikum wollte sich den Abend nicht noch mehr vermissen und klatschte tapfer gegen das Unglück an. Die Stimmung an der Oper dürfte jetzt nicht die beste sein, arbeitsrechtliche Konsequenzen sind angedroht. Die Wirtschaftskrise wird aber vor der Kultur nicht Halt machen. Es könnte also sein, dass die Zuschauer einer Premiere ganz eigener Art erlebten, der noch einige Vorstellungen folgen. Nur die Hoffnung, dies möge nicht passieren, eint wohl alle
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Nachtrag

Natürlich habe ich das Ganze auch noch einmal mit Orchester besucht. Hier zeigt sich dann, wie armselig ein Tschaikowski nur mit Klavier ist. Marc Soustrot ist ein feinsinniger, intelligenter Dirigent. Er macht die einzelnen Linien der Partitur deutlich, kombiniert die verschiedenen Klangfarben gekonnt und lässt sie auch in Spannung treten. Immer wieder blüht die Musik auf. Doch immer wieder nimmt er das Orchester auch zurück, man hört plötzlich, wie Tschaikowski sich auch an der Klassik orientiert hat, wie diese Orientierung selbst bei dieser hochromantischen Oper durchschlägt. Soustrot kommt dabei seine lange Erfahrung als Orchesterdirigent zugute, allerdings ist er dabei auch in Gefahr, die Singstimmen nur als ein schön geführtes Instrument unter vielen zu behandeln.

Gesungen wird so vor allem schön, aber auf hohem Niveau und deutlich entspannter als in der Premiere mit ihren schwierigen Umständen. Gegenüber der Premiere gab es zwei Änderungen, Mikro Roschkowski ist ein strahlender Lenski, der sich aber viel besser ins Ensemble einpasst als sein Vorgänger. Konstantin Gorny gibt einen jungen, edlen Fürst Gremin.

Insgesamt war die musikalische Seite also ein echter Genuss, bei dem auch Kenner noch neue Facetten entdecken konnten. Allerdings sackte so die Inszenierung endgültig ab. Jetzt, wo das die Musik ihr Potential ausspielen konnte, wurde vollends deutlich, wieviel Leerlauf auf der Bühne stattfindet. Die Regie geht an der Musik vorbei, ja sie stellt sich zu großen Teilen gegen die Musik. Das gilt etwa für die Briefszene. Hier verlangt Musik geradezu nach Nacht und Intimität. Gespielt wird sie auf heller, offener Bühne. Manche Dinge wirft man einfach nicht ungestraft über Bord. Auch warum man die beiden ersten Akte zusammenziehen und dem Zuschauer die Wagner-Länge von 2 Stunden zumuten muss, bleibt rätselhaft. Diese Inszenierung ist einer Staatsoper leider nicht würdig.

© Friedrich Kern








Pjotr Tschaikowski
Eugen Onegin

Musikalische Leitung: Marc Soustrot
Inszenierung: Waltraud Lehner
Bühne: Kazuko Watanabe
Kostüme: Werner Pick

Staatsoper Stuttgart
Besuchte Vorstellungen:
30. November 2008 und 18. Januar 2009
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Staatsoper Stuttgart

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