Dezember 2007

Ein drittel Stück Oper


Es ist ja schön, wenn man weiß, woran man ist. Und die Kulturindustrie bewahrt uns, wir dankens, vor jeglicher Überraschung. Wir wissen, was wir bekommen, wenn wir Harald Schmidt einschalten oder Kerner oder DSDS oder GZSZ oder ein anderes dieser Kürzel. Schauen Sie in ihre Fernsehzeitschrift, da wird alles schön säuberlich kategorisiert: Drama, Action, Krimi, Thriller, Gefühl. Möglichst gibt es noch Punkte oder Sternchen, damit sie wissen, wieviel Humor, Erotik und Spannung sie zu erwarten haben.

Mach ich nicht mit, dachte sich Giacomo Puccini, der freilich noch kein Fernsehen kannte und damit keine Quoten. Überhaupt tat Puccini überhaupt nur das, was er wollte. Er wollte etwa drei Einakter schreiben, die dann zusammen aufzuführen seien. Dass die Idee irgendjemand verrückt fand, ist nicht überliefert, das wäre heute im Zeitalter der Kategorisierung sicher anders. Die drei Einakter unterschieden sich deutlich: der erste ist brutal, der zweite ist verzweifelt-emotional-lyrisch, der dritte ist hinreißend komisch. Der erste spielt auf einen Schleppkahn, der zweite in einem Frauenkloster, der dritte im Haus eines reichen Florentiners. Im ersten ermordet ein Mann aus Eifersucht zwei Menschen; im zweiten zerbricht die Mutter eines unehelichen Kindes fast an ihren Gewissensqualen; im dritten wird eine ganze Bande gieriger Erbschleicher übers Ohr gehauen.

“Il tabarro” (Der Mantel), “Suor Anglica” (Schwester Angelica) und “Gianni Schicchi” heißen die drei Stücke, “Il trittico” (Das Triptychon) ist der ganze Abend überschrieben. Und es ist ein grandioses Triptychon, was da gezeichnet wird. Wagner verbraucht in seinem Ring vier lange Abende und schafft es doch nicht, die Welt abzubilden. Puccini braucht drei Stunden, um zu zeigen, dass man die Welt nicht aufspalten kann. In jedem Moment morden und quälen Menschen, verzweifeln und hoffen Menschen, lieben und freuen sich Menschen. Die drei Einakter enthalten mehr Wahrheit über das Leben als die meisten auschweifenden so genannten Welttheater.

Die Besucher der New Yorker Met, dort wurde “Il trittico” am 14. Dezember 1918 uraufgeführt, verstanden das offensichtlich. Das Stück hatte Erfolg. Danach hat man, als hätte man das Fernsehen schon gekannt, das Werk mutwillig zerstört. “Gianni Schicchi” wurde herausgerissen und mit anderen lustigen Einaktern kombiniert, der Rest vergessen. Bitte nur komisch, bitte nur tragisch, wieviel Punkte für Gefühl? In der bildenden Kunst gäbe es einen Aufschrei, wenn man ein Triptychon so zerstört, aber in der Oper?

Nun kann man noch immer dazulernen. Hier und dort ist das Trittico inzwischen wirklich als Trittico zu sehen und zu hören. Hingehen lohnt sich. Wo sonst kann man erleben, wieviel Leben Oper enthält? 


© Friedrich Kern









Zurück
Zurück