Berlioz' Künstlerdrama als furiose Farce,
                                                           schwierige Fragen verschwinden.


Hasch mich, ich bin ein Künstler

“Wie antisemitisch darf ein Künstler sein?”, fragt ein Buchtitel. Gemeint ist Richard Wagner und der Titel ist natürlich provokant. Darf ein Künstler antisemitischer sein als ein Kaufmann oder ein Schuster? Dass ein Künstler anders, schräg, provokant sein darf, ja muss, diese Idee entstand Ende des 18. Jahrhunderts. Dann schlugen sich besonders die Deutschen, also Wagner und Thomas Mann, mit dem Thema herum.

Die erste Oper dazu entstand jedoch 1838 in Frankreich. Hector Berlioz stellt dabei Benvenuto Cellini auf die Bühne, ein Goldschmied der Renaissance. Die Geschichte ist einfach: Bellini soll für den Papst eine Perseus-Statue schaffen, doch das bereitgestellte Geld versäuft er lieber mit seinen Kumpels. Außerdem liebt er Teresa, die Tochter des päpstlichen Schatzmeisters. Sein Konkurrent Fieramosca liebt sie auch. Cellini versucht, Teresa zu entführen und wird zum Mörder (der historische Cellini hat mindestens drei Morde begangen). Doch der Papst erteilt ihm Absolution - vorausgesetzt der Künstler vollendet schnell sein Werk. Das gelingt - trotz Materialmangels und Streik der Arbeiter. Der Triumph des Künstlers ist perfekt.

In Nürnberg kommt die selten gespielte Oper als Farce auf die Bühne. Cellini ist hier ein moderner Clown, der seine Mitmenschen an der Nase herumführt, auch der Papst ist vor allem Selbstdarsteller. Anknüpfungspunkt ist der Karneval, in den Berlioz die Handlung gelegt hat. Laura Scozzi, eigentlich Choreographin, inszeniert mit leichter Hand und die Sänger sind voller Spielfreude dabei. Fast nie ist es langweilig, es gibt keine toten Ecken. Scozzi setzt eine satirische Spitze nach der anderen, so wenn sich Cellini ein einfaches Hirtenleben erträumt. Am meisten Applaus heimst Jordanka Milkova in der Hosenrolle von Cellinis Lehrling ein. Die Mezzosopranistin verfügt über eine ausdrucksstarke, facettenreiche Stimme, dasselbe lässt sich über ihr Spiel sagen. Sie ist ein echter Gewinn für das Nürnberger Ensemble. Hrachuhí Bassénz  als Teresa lässt die Koloraturen nur so perlen und macht sich gleichzeitig darüber lustig - das ist hinreißend. Jean-Francis Monvoisin als Cellini hat vor allem am Anfang Schwierigkeiten in der Höhe, kann aber in den lyrischen Abschnitten den Schmelz seiner Stimme zu Geltung bringen. Rainer Zaun als Schatzmeister und Melih Tepretmez liefern solide Partien ab. Guido Jentjens spielt die Rolle des schwuchteligen Papstes mit sichtbaren Vergnügen. Sein samtener Stimmcharakter passt treffend zu diesem Klischee. Dirigent Guido Johannes Rumstadt ist nicht unbedingt an den Feinheiten der Partitur interessiert. Mit hohem Tempo und mit spritziger Gestik passt er sich der Inszenierung vollständig an. Überzeugend ist auch der Chor, dem im Stück viel Raum gegönnt wird.

Die Zuschauer können also einen vergnüglichen Abend erleben, vorausgesetzt sie lassen sich auf die Interpretation ein. Das allerdings fällt nicht ganz leicht. Die Idee des Künstlergenies war nicht unbedingt segensreich. Im 20. Jahrhundert fühlten sich manche Diktatoren (von Gott oder der Geschichte) dazu berufen, die Welt wie ein Künstler zu gestalten - gegen alle Widerstände, gegen alle moralischen Skrupel. Selbst wer den Bogen nicht so weit spannen will, die Frage bleibt: Darf ein Künstler unmoralisch sein, nur weil er Künstler ist? Solche Fragen kommen bei dieser Inszenierung gar nicht erst auf. Es fehlt etwas.



© Friedrich Kern









Staatstheater Nürnberg
Hector Berlioz
Benvenuto Cellini

Musikalische Leitung:
Guido Johannes Rumstadt
Inszenierung und Choreographie:
Laura Scozzi
Bühne: Barbara de Limburg
Kostüme: Jean Jacques Delmotte

Staatstheater Nürnberg
Besuchte Vorstellung: 22. Oktober 2008
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